Mahnwache für Frieden in Israel

Foto: Ludwig Gasteiger

Am 7.Oktober 2023 ermordeten die Hamas nach heutigen Angaben mindestens 1400 Zivilisten jeden Alters und Soldaten auf israelischem Gebiet und entführten etwa zweihundert weitere. Das Abschlachten wurde gefilmt und von den Terroristen veröffentlicht.


Es ist der 13.Oktober 2023 und es ist keine zwei Wochen her, dass ich am Unteren Markt in Dachau zur Demonstration für Vielfalt, veranstaltet vom Runden Tisch gegen Rassismus, gekommen bin. Nun also komme ich wieder dazu, es sind ein paar Dutzend Leute zu sehen. Ein wenig ist es wie im Film, als wenn ich mich selbst beobachte, wie ich mein Rad abstelle, auf die ersten bekannten Gesichter zugehe, Hände schüttle und mich gedanklich einfinde.


Eine meiner frühesten Erinnerungen ist aus dem Jahr 1972. Irgend etwas schlimmes war in München und dann in Fürstenfeldbruck passiert. Ich machte mir Sorgen, ob diese Geschehnisse weit genug weg wären. Über die folgende Jahrzehnte ergänzte ich mein Wissen darum, erst dieses Jahr habe ich einen Film darüber gesehen. Palästinensische Terroristen ermordeten Angehörige der israelischen Olympiamannschaft.


Und über die Jahrzehnte höre ich immer wieder über die todbringenden Auseinandersetzungen zwischen Israelis und Arabern. Namen wie der von Jitzchak Rabin sind mir im Gedächtnis. Er wurde 1995 ermordet von einem israelischen Jurastudenten mit rechtsextremer, religiös-fanatischer Überzeugung. Gaza, Westjordanland, Jerusalem, all die Orte von denen man immer wieder hört. Golanhöhen, Syrien, Libanon, überdies unzählige Stichworte, zeitgeschichtlich und immer wieder tagesaktuell. In den letzten Monaten wurde immer wieder über die großen Demonstrationen gegen den Umbau der israelischen Demokratie, berichtet. Der Premier der rechts ausgerichteten Regierung sucht die Machtfülle. Von den Menschen in Gaza hört man wenig. Ein übles Regime, unterstützt von den Mullahs in Teheran, hat dort die Macht.


2018 lernte ich, am Tag der #ausgehetzt-Demo in München, Eva in der Flüchtlingsunterkunft in Bergkirchen-Gröbenried kennen. Sie war damals schon 98 Jahre alt und es war ein glücklicher Umstand, sich mit ihr anfreunden zu dürfen. Mit Max Mannheimer hatte sie den Tag der Geburt und die mährische Herkunft gemein. Das führte sie in den letzten Jahren ihres Lebens zusammen. Und mich hat die gute Bekanntschaft mit Eva bewogen, meine geschichtlichen Kenntnisse aufzufrischen. Unter den Büchern war auch das von Joseph Rovan. ‚Geschichten aus Dachau‘ heißt es.


Bis in die letzten Tagen des 2.Weltkriegs haben sich in Dachau grausame und bestialische Dinge ereignet. Die SS schickte ihre Gefangenen auf Todesmärsche, in den Krematorien kam man mit dem Verbrennen nicht mehr nach. Selbst ich habe noch Menschen gut gekannt, die mit dem Bergen der Leichen eindrücklich zu tun hatten. Erst letztes Jahr war ich Besucher des Geländes der Bereitschaftspolizei Dachau. Vormals waren die dort erhaltenen und weiter genutzten Gebäude Teil der Kaserne der SS. Die Geschichte des Konzentrationslagers Dachau hat dort kurz nach der Machtergreifung begonnen.


Am 6.August 2023 war ich zu einem Zeitzeugengespräch mit Dr. Boris Zabarko im Max-Mannheimer-Haus. Mit dabei hatte ich Yuliia, eine siebzehnjährige junge Frau aus der Ukraine, die in Bergkirchen im März 2022 Aufnahme gefunden hat. Sie konnte den Ausführungen in der Original-Sprache folgen, auch als Dr. Zabarko gelegentlich vom Russischen ins Ukrainische wechselte. 1935 geboren, überlebte er als Kind in der Ukraine das Ghetto Scharhorod.
Er erzählte auch über das Massaker von Babyn Jar. Dort ermordeten Einsatzgruppen der deutschen Sicherheitspolizei und des SD am 29. und 30. September 1941 innerhalb von 48 Stunden mehr als 33000 jüdische Männer, Frauen und Kinder.


Nun bekomme ich ein laminiertes Stück Papier gereicht, #WeStandWithIsrael steht darauf. Ich halte es für die Zeit der Mahnwache in Händen. Etwa 50, ein wenig später dann doch aber deutlich mehr Leute, stellen sich um eine kleine Feuerschale. Ein paar Flammen, die brennen und jederzeit zu verlöschen drohen. Ein Sinnbild für das Leben der Menschen in Israel, die vom wahnsinnigen Terror heimgesucht wurden. Und das Töten setzt sich seitdem fort, es trifft meist unschuldige Menschen.

Es wird gesprochen, über diejenigen, die vermisst waren und wieder lebendig gefunden sind, über diejenigen, die umkamen. Und es sind keine unbekannten Namen. Es sind bekannte Namen, es sind bekannte Familien. Im Kloster Indersdorf wurde im Juli 1945 von der UNO ein Heim eingerichtet, das Kindern, die ohne Eltern aufgefunden wurden – jungen Überlebenden der Konzentrations- und Zwangsarbeitslager genauso wie Kindern von Zwangsarbeiterinnen – eine erste beschützende Umgebung bieten sollte. Unter der Leitung von Greta Fischer wurden hier, in einer Zeit, in der die deutsche Gesellschaft über das Geschehene schwieg, Therapien für die meist tief traumatisierten Kinder entwickelt. Diese Kinder von damals, Angehörige derer Familien, sind wieder betroffen. Anna Andlauer erzählt die Ereignisse von damals und von heute.


Es ist eigentlich unfassbar in Mitten dieser Geschichte und Ereignisse zu stehen. Christian Benning, weltbekannt, hinterlegt die Minuten des Schweigens mit musikalischen Klängen. Ähnlich brüchig wie die kleinen Flammen am Boden, ein Aufbäumen des Lebens, aber auch ein Verlöschen, alles nah beieinander. Es ist als wenn Zeitlinien sich berühren und sich neu binden. Das Grauen der Vergangenheit greift nach uns und wir müssen dem ausweichen. Einmal mehr. Einmal mehr, erst vor zwei Wochen wurde darüber gesprochen, dass man sich das lange nicht mehr vorstellen konnte.
Im Spiegel heißt es heute: ‚In ihrem Hass auf Juden wurden die Islamisten auch von NS-Propaganda geprägt.‘


Zu den Gesprächen nach der Mahnwache fällt mir eine junge Frau auf. Sie ist wohl Schülerin am Josef-Effner-Gymnasium, aus Ungarn und sie bedankt sich, dass man ihr Bescheid gegeben hat. Aus ihrem Freundeskreis müssen junge Männer zurück nach Israel, Kriegsdienst. Erst neulich war ich mit jungen Ukrainern zusammen, denen der gleiche Weg droht.

Was laden wir als Angehörige der Generation, die diese Welt gestaltet und nun die Geschehnisse heute und in naher Zukunft verantwortet, diesen jungen Menschen an Last auf? Wonach richtet sich unser Handeln?

Stefan Haas, am 16.Oktober 2023