Flucht und Hilfe in Dachau

Am 6.März 2022 bin ich von den Jugendorganisationen von SPD, Grünen, FDP, CSU und anderen eingeladen in Dachau auf der Friedensdemonstration für Solidarität mit der Ukraine zu sprechen. In meiner Rolle als Koordinator des Asylhelferkreises Bergkirchen-Gröbenried darf ich im Namen aller Helferkreise des Landkreises auch über meine Erfahrungen seit 2016 sprechen.

Rathaus Dachau am 6.März 2022

Die kommende Flucht von Millionen aus den Kriegsgebieten und belagerten Städten wird ähnlich sein und gleichzeitig anders sein wie im Europa des Jahres 2015. Es gleichen sich die Schicksale im Verlust des Zuhauses, im Trauern um Familie und Freunde, das Trauma der Gewalt in allen Variationen. Äußerlich sichtbar in Wunden und Gebrechen, verborgen in der Tiefe der Seelen. Als die Helfer:innen 2016 in Bergkirchen die Sprachkurse für gut 200 Geflüchtete in der schnell errichteten Traglufthalle im Gada begonnen haben, ahnten sie nur was diese Menschen erlebt haben. Ich habe das in den Jahren nach und nach verstanden. Hoffnung und Verzweiflung liegen nahe beieinander, Leben wie Tod und Weinen wie Lachen. Das Weinen war meist versteckt. Wir wissen nun wie das ist, einige begleiten ihre Schützlinge bis heute. Wir haben intuitiv vieles richtig gemacht, wir konnten wirklich gut helfen und Schicksale zum Guten, auch sehr Guten wenden. Wir hatten und haben auch viel Spaß, richtige Freundschaft und unbeschwerte Verbundenheit. Keine Frage, dass wir uns wieder für die Hilfe entscheiden würden. Aber leider konnten wir dies nicht für alle tun, insgesamt haben wir als Gesellschaft unnötige Fehler gemacht, gerade in der Politik. Unsere Empathie und Zuwendung sind bei der Integration der Kriegsflüchtlinge entscheidend. Andere Eigenschaften sind gefordert, wenn der Integration Fallstricke gelegt werden. An diesem Tag möchte ich diese Front nicht aufmachen, der Landrat Löwl spricht ebenfalls, vor mir. Dazwischen noch der Landtagsabgeordnete Seidenath. Ich werbe immer für ein Zusammenstehen, für gedeihliche, menschenwürdige Lösungen und Entwicklungen in Fragen Fluchtgründe und Bleiberechte.

10000 Ukrainer, meist Kinder, Jugendliche und Frauen kommen gegenwärtig täglich in Berlin an und man beginnt sie in ganz Deutschland zu verteilen. Das wird eine große Aufgabe für uns alle, wir müssen und werden aus den alten Fehlern lernen. Irgendwann wird die Euphorie des Helfens sich ändern, dann müssen tragbare Regeln gelten. Der zentrale Punkt an dem sich die Geister scheiden ist das Recht auf Arbeit. ‚Arbeit ist ein Menschenrecht!‘ Und ich bin dankbar für den Applaus, das Publikum hat meine Botschaft verstanden. Das war wichtig zu sagen, folgendes schreibe ich nur hier zur Aufklärung. Leider weiß ich, dass der Landrat das mit der Arbeit anders sieht. Nicht aus Prinzip, er wird öffentlich immer zustimmen, dass wir die Geflüchteten immer gut und fair behandeln. Aber aus seiner politischen Überzeugung, dass fremde Menschen immer irgendwie fremd bleiben und ‚nicht hierher gehören‘. Genau diese Worte habe ich am 16.Februar 2016 vom ehemaligen Bürgermeister der Gemeinde Bergkirchen gehört, den ich sehr schätze. Aber diese Bemerkung hat mich provoziert, in dieser Welt müssen friedliebende Menschen einander helfen. Die Ansicht, dass wir Deutsche hier immer die Rolle des Gebenden haben würden, finde ich überheblich. Frieden und Zusammenarbeit hat nichts damit zu tun, wo jemand geboren ist und wohl möglichst bleiben soll, sondern welche Talente jemand einbringen kann. Hier darf ich Pfarrer Hack für seine Worte danken. Auch er hat mich in den wenigen Gottesdiensten, die ich seit seiner Ankunft vor gut zehn Jahren in Bergkirchen beiwohnen dürfte, mit seinen Predigten inspiriert. Zurück zum Landrat. Er hat im Februar zwei meiner Schützlingen die Arbeitserlaubnis entzogen. Einem Iraner, der in Teheran im Gefängnis auch zu Scheinhinrichtungen geführt wurde. Und einem jungen Mann aus Sierra Leone, der ein zweites Mal dafür bestraft wird, dass vor 20 Jahren ein Bürgerkrieg in seiner Heimat stattgefunden hat. Die Flucht nach Gambia machte es ihm im Nachhinein unmöglich ordentliche Papiere seines Geburtslandes zu bekommen. Ein Umstand, den die hier konservativ geprägte und zurechtgebogene Bürokratie nutzt, dem jungen Mann mit Fachausbildung Schwierigkeiten zu machen. Und natürlich auch uns als Helfer:innen. Die Dachauer Ausländerbehörde hat Anzeige wegen falschen Identitätsangaben gestellt, wohl wissend, dass dies objektiv nicht anders hätte sein können. Der Landrat Löwl findet so ein Vorgehen richtig, es ist rechtlich möglich. Die Konsequenzen für den Menschen blendet er aus. Das Amt nutzt seine Macht, um anderen ihren Platz zu zeigen. Und was besonders anstößig ist, auch die Überlastung des Rechtsstaats, der erst nach Monaten handeln wird, wird ausgenützt. Die Strafe kein Geld verdienen zu dürfen ist unabhängig von einem Richterspruch. Das wird auch bei den Ukrainern und Ukrainerinnen passieren. Gerne möchte ich mich irren. Und es besteht die begründete Hoffnung, dass die Bundesregierung mit neuen, klaren Gesetzen den Menschen faire und sichere Integrationsmöglichkeiten zugesteht. Ohne auf den guten Willen von direkt gewählten und machtbewußten Landräten angewiesen zu sein. Für Dachau räume ich ausdrücklich ein, dass vieles ganz gut gelaufen ist, vor Jahren besser als in den Nachbarlandkreisen. Aber man kann sich eben seinen Ruf nachhaltig ruinieren, wenn man sich als ‚harter Hund‘ opportun an anderer Stelle bewerben will. So zumindest meine These, die andere mit mir teilen. Auch die öffentliche Meinung ist dazu im Landkreis ausgeprägt. ‚Wir schieben die Falschen ab!‘ kommt auch über eher konservative Lippen. Das Gezerre in der Verwaltung und vor Gerichten können wir uns nicht mehr leisten. Es wäre fatal, wenn wir auch den Ukrainern unsere widersprüchlichen Asylregeln zumuten wollten.

All diese Vorwürfe will ich in meiner Rede nicht äußern, es ist die Zeit zusammen zu halten und den vielen guten Absichten und dem wachsenden Engagement den Raum zur Entfaltung zu geben.
Aktuell rechnet man mit 1000 Menschen aus der Ukraine, die wir im Landkreis aufnehmen. Manche werden für Jahre, manche für immer ein neues Zuhause in Dachau und dem Landkreis finden.

Ich bin begeistert gerade vom Einsatz der jungen Leute, so wie in meiner Gemeinde Bergkirchen. Etwa beim Sammeln von Sachspenden in Kooperation mit Frau Bonauer-Morel. Sie hat die Hilfslieferungen aus dem Landkreis bis in die Ukraine organisiert. Uns stimmt das optimistisch, die Hilfsbereitschaft wird bleiben. Wir brauchen sie dann im besonderen Maße für die Menschen die zu uns kommen.

Ich habe mich angesichts des immer brutaler werdenden Krieges gefragt, wo denn die Hoffnung liegen könnte. Und so vieles hat vermutlich auch beabsichtigte Parallelen zum 2.Weltkrieg und dem ureigenen nationalsozialistischem Regime im 3.Reich. Die allermeisten von uns haben aus der Geschichte gelernt und haben auch nicht versucht, diese umzudeuten, wie es in Russland geschieht. Memorial wurde kürzlich dort verboten. Unabhängige Medien wurden vor ein paar Tagen verboten. Prawda hat jetzt noch weniger Bedeutung als in der Sowjetunion.

Putin kann nicht gewinnen!‚ Es gibt die Hoffnung, dass die Russen selbst erkennen, was dieser Angriffskrieg bedeutet. Mit Alexander Schmorell von der Weißen Rose nenne ich einen Helden, dessen Einsatz für Wahrheit und Demokratie bis heute wirkt. Auch wegen seiner deutsch-russischen Herkunft hat die Propaganda des 3.Reiches nie bei ihm verfangen, hat seine Erlebnisse an der Ostfront von 1942 in den Flugblättern der Weißen Rose zum Ausdruck gebracht. Darin sind auch die Strukturen unseres heutigen demokratischen Deutschlands formuliert. Er hat dafür im Juli 1943 mit seinem Leben bezahlt, wurde 2012 von der russisch-orthodoxen Kirche in München als Märtyrer anerkannt und heilig gesprochen. Ich hoffe, die Russen besinnen sich ihrer eigenen Helden. Das Regime, das sie erlaubt haben, wendet sich gerade gegen sie selbst. Von außen wird kaum Hilfe kommen, es bleibt die Chance sich zu Millionen auf die Straße zu begeben und sich selbstbewußt eine demokratische Führung zu geben. Dazu braucht es Persönlichkeiten wie Alexander Schmorell, gebildet und mutig, voller Tatendrang für Wahrheit, Frieden und Gerechtigkeit. Es wird sie auch heute in der russischen Armee geben.


Dank an Johanna, Salome, Thomas, Daniel, allen weiteren in der Organisation und auch dem Publikum, das an den richtigen Stellen geklatscht hat.

Wir alle finden unsere Rollen in dieser Katastrophe. Zusammen können wir eine bessere Welt schaffen, für die Menschen in der Ukraine, für uns selbst und für alle die in dieser Welt bedroht sind.

Soweit meine Gedanken, ähnlich formuliert am vergangenen Sonntag.

Bergkirchen, den 8.März 2022

Stefan Haas
Gemeinderat Bergkirchen
Koordination Asylhelferkreis Bergkirchen-Gröbenried
Ortsverbandssprecher Grüne Bergkirchen